Sonntag, 18. August 2013

Das Fräulein Grete Meier sucht nach Ruhe



Das Fräulein Grete Meier sucht nach Ruhe


Nach der ganzen Aufregung gestern suchte das Fräulein Grete Meier heute nach nichts anderem als nach Ruhe. Fand sie auch. So sage und schreibe für fünf Minuten nach dem Aufstehen. Dann ging es nämlich direkt unter ihr los. Mit Hämmern und Klopfen und Schaben. Ab und an unterbrochen durch das Kreischen einer Bohrmaschine, oder Säge, oder was auch immer. Grete marschierte sofort auf den Balkon. Mit Zigarette. Herr Heinevetter erwartete sie schon. "Hamse schon gehört?"

Als wenn es da was zu überhören gibt. Na jedenfalls war der Herr Heinevetter bestens informiert und klärte die Grete auf. "Da zieht einer ein. Endlich. Die Wohnung steht ja lange genug leer. Bestimmt schon zwei Monate. Ist ein junger Mann. Sehr freundlich. Hat mich jedenfalls höflich im Flur gegrüßt und mir sogar die Türe aufgehalten. Hat man ja nicht alle Tage.  Und entschuldigt hat er sich für den Lärm. Kann nur sonntags sagt er. Schichtdienst im Krankenhaus. Assistenzarzt isser. Praktisch Frau Meier, praktisch. Wenn mal was passiert."

Die Grete blies ein paar Kringel in die Luft und nickte dabei zustimmend. Das hörte sich auf jeden Fall gut an. Schlimmer als die Karbachs, die vorher in der Wohnung unter der Grete gewohnt hatten, konnte es gar nicht kommen. Herr Karbach war wohl Immobilienmakler. Mit Porsche und so. Selten da. Dafür aber die Frau Karbach. Ne, was war das für eine Zimtzicke.

"Frau Meier", hat sie immer gesagt, "Frau Meier, das ist hier nicht meine Welt. Alles so einfach und die Menschen hier im Haus, so primitiv. Also wenn uns nicht vom Schicksal so übel mitgespielt worden wäre, dann … "

Nie hat die Grete erfahren was dann, und niemals den Grund für das Hiersein im Haus von den Karbachs. Interessiert hätte sie das schon. Aber gefragt danach hat sie auch nicht. Es war für die Grete schon Belastung genug, dass die Karbach ihr jeden Tag im Flur aufgelauert hatt, sobald die Grete aus dem Büro kam. Und jeden Tag hatte sie was zu meckern. Das Babygeschrei bei Hebers störe sie in der Mittagsruhe, der Heinevetter hätte mal wieder den Fernseher viel zu laut, und überhaupt, muss die Frau Korters denn immer so früh aus dem Haus, man hört doch die Tür zuklappen. Sie bräuchte schließlich ihren Schönheitsschlaf. Halb fünf, was will die Alte denn da schon auf der Straße? Nein, Frau Meier, das ist nicht meine Welt …

Anfangs hat die Grete ihr noch versucht alles zu erklären. Das Babys eben mal schreien, dass der Herr Heinevetter nicht mehr so gut hört und dass die Frau Korters Zeitungen austrägt, weil ihre Rente so niedrig ist. Und und und …

Irgendwann hat sie es dann aufgegeben und nur noch stumm genickt. Und zugesehen, dass sie schleunigst die Treppe raufkam. Sie hat sogar einige Tage probiert zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause zu kommen. Pustekuchen. Die Karbach stand trotzdem im Flur, sobald die Grete die Haustür aufgeschlossen hat.

Die Grete begann Luft zu holen. Schon vor der Haustür. Jeden Tag. Hörbar. Und sie zählte bis zehn, bevor sie den Schlüssel umdrehte. Das nützte was. Für ein paar Wochen. Eines Tages beschwerte sich die Karbach mal wieder über den Herrn Heinevetter. Diesmal ging es nicht um den Fernseher. Nein, um den merkwürdigen Besuch, den der Herr Heinevetter ab und an erhält.

"So ein Schwuler, wissen sie, das sehe ich auf den ersten Blick, ekelhaft sage ich ihnen. Den hat der alte Bock sich garantiert von der Straße geholt. Liest man ja jeden Tag in der Zeitung. Und mit sowas muss man unter einem Dach wohnen. Einen Puff hat der da, der Heinevetter. Nein, Frau Meier, das ist nicht meine Welt …

Weiter kam die Karbach nicht. Die Grete, schon Schaum vor dem Mund, hat ihr nämlich kurzerhand ihren Regenschirm auf den Kopf geschlagen. Nicht dolle, aber immerhin so doll, dass die Karbach den Mund hielt. Und dann legte die Grete los. Alles was sich wochenlang angestaut hat entlud sich nun verbal über der Karbach.

Was sie für eine oberflächliche Ziege sei, die ihr jeden Tag nur auflauert um zu hetzen. Dass die Grete soviel Dummheit noch nie auf einen Haufen gesehen hätte und überhaupt, wenn sie es doch hier so schrecklich findet, warum sie dann nicht endlich auszieht mit dem Herrn Porschefahrer, der immer zwei Parkplätze blockiert, weil er zu dämlich ist, um richtig einzuparken.

Je mehr die Grete in Fahrt kam, desto kleiner wurde die Karbach und je kleiner die Karbach wurde, desto besser fühlte sich die Grete. Als alle Luft verbraucht war, fuchtelte die Grete nochmal drohend mit ihrem Schirm und machte dann, dass sie in ihre Wohnung kam. Von der Karbach hat sie danach nie mehr etwas gesehen. Nur noch den Möbelwagen ein paar Wochen später. Das Lieschen hat es da echt gut. So ein eigenes Häuschen hat schon seine Vorteile. Trotzdem würde die Grete dann wohl so einiges vermissen.

Bei der Erinnerung an diese Menschen schüttelte sich die Grete. "Wissense, Herr Heinevetter, gut dass mal ein junger Mensch hier einzieht. Das bringt frischen Wind ins Haus. Und wenn er so nett ist, wie sie sagen, dann ist es noch besser. Ich fahre jetzt mal in den Park. Ruhe brauch ich nämlich heute trotzdem. Aber die muss ich ja nicht unbedingt in der Wohnung finden."





  Und hier könnt ihr Lieschen Müllers Antwort auf den Post lesen ---> KLICK

5 Kommentare:

  1. Grins, die andere Sichtweise und schon sieht das alles völlig anders aus. Wieder einmal der normale Wahnsinn, den wir eigentlich überall erleben....
    Vorurteile sind auch Urteile
    mit einem Gruß Geli

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die Welt erstickt nochmal an den Vorurteilen.. Danke für den kommentar
      Lg vonner Grete

      Löschen
  2. Das sind mir die Richtigen, diese Meckertanten wie die Frau Kalbach. Sich über andere erheben, aber niemals vor der eigenen Tür kehren und am besten noch den ganzen Dreck bei anderen abladen.
    Welch ein Wunder, dass Grete so lange geschwiegen hat. Logisch, dass ihr dann die Hutschnur platzt angesichts der wahrlich dummen Vorurteile von der Kahlbach. Intolerant bis zum geht nicht mehr.
    Vermutlich hätte Grete schon viel früher dagegen steuern müssen, damit sich alles nicht so anstaut.
    Aber wir versuchen ja immer, keinen zu brüskieren, sind lieber still, besonders, wenn solche Menschen in unserer Umgebung leben und man ja irgendwie mit ihnen auskommen muss.
    Jedoch schafft man sich dadurch letztlich nur ungute Gefühle, die man verdrängt, die aber brodeln und dann irgendwann überlaufen.
    Ich kann die Grete gut verstehen. Alles hat Grenzen, auch die „Schein-Höflichkeit“ Nachbarn gegenüber.
    Wir leben mit Vorurteilen, der daraus resultierenden Intoleranz und dem konfliktpotenzial, das sich daraus ergibt.
    Menschen wie die Kalbach haben große Probleme mit sich selbst und ihrem Selbstwertgefühl. Sich aufzuwerten, indem man andere klein macht, ist ja meist ein deutliches Zeichen.
    Nee, das ist nicht „ihre Welt“ – gut, dass sie weg ist.
    Nun kann man hoffen, dass sich der neue Nachbar doch ganz anders darstellt.
    Wieder ein nachdenkenswerter Beitrag, danke Fräulein Grete.

    Lieben Gruß
    Enya

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh, was für ein schöner und langer Kommentar.Vielen Dank. Es ist klasse zu sehen, wie sich doch einige Leser mit diesen gewöhnlichen Alltagsgeschichten auseinandersetzen. Und was den neuen Nachbarn angeht ... der kommt noch zum Zuge. Ganz bestimmt. Du kennst doch die Grete mittlerweile ein bisschen.
      Lg vonn er Grete daselbst

      Löschen
    2. Ich hänge ein bisschen hinterher....Zeitmangel die letzten Tagen. Aber ich werde natürlich weiter dabei bleiben. Irgendwann bin ich wieder "on topic" aktuell.
      Jaaaa, ich kenne die Grete inzwischen ein wenig und sie kommt mir immer näher - mit ihren Gedanken und Erlebnissen.
      lg
      Enya

      Löschen

Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...