Dienstag, 3. September 2013

Das Fräulein Grete Meier hat Rücken



Das Fräulein Grete Meier hat Rücken


Und wie. Eine falsche Bewegung hat ausgereicht und die Grete konnte eben das nicht mehr. Sich bewegen. Keinen Millimeter, ohne vor Schmerzen zu jammern. Laut. Eine halbe Stunde hat sie gebraucht um vom Wohnzimmer ins Bad zu gelangen. Zum Medikamentenschrank. Nur um festzustellen, dass der von Verbandszeug, Brandsalbe und Schnupfenspray, über Grippemittel und Magentropfen, bis hin zu Johanniskrautkapseln alles enthält, nur keine einzige Schmerztablette. Die Grete stöhnte.  Mittlerweile schon ganz grün im Gesicht quälte sie sich Richtung Balkon. Gottseidank stand dort der Herr Heinevetter und rauchte. Franzbranntwein könne er dem Fräulein Meier bieten, der hilft garantiert. Aber Schmerzmittel, nein sowas hätte er nie im Haus. Grete ließ sich entnervt und im Zeitlupentempo auf ihrer Bank nieder. Ihr schwante Böses. Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihre Vermutung. Halb sechs, der Herr Heinevetter fährt kein Auto mehr, Grete kann nicht, und zu Fuß bis zur nächsten Apotheke, das würde der Herr Heinevetter bis 18.30 Uhr nicht schaffen. Ob sie das Lieschen anrufen soll? Die Hebers, vielleicht können die helfen. Noch nicht ganz zu Ende gedacht fiel ihr ein, dass die Hebers am Sonntag in Urlaub gefahren sind. Nach Holland. Für zwei Wochen. Vielleicht die Frau Korters? Ja, die hat bestimmt Schmerzmittel. Die Grete meinte sich zu erinnern, dass die Frau Korters auch ab und an über heftige Rückenschmerzen geklagt hat. Hilfesuchend sah sie Herrn Heinevetter an, nachdem sie vergeblich versucht hat, sich von der Bank zu erheben. "Könnense mal hoch gehen, zu Frau Korters und nach einer Schmerztablette fragen?" Doch der Herr Heinevetter schüttelte nur bedauernd mit dem Kopf. "Die is bei ihren Enkeln heute, übernachtet da. Der Sohn hat Hochzeitstag und will mit seiner Frau ausgehen!" Grete sank immer mehr in sich zusammen. Schöne Aussichten auf die Nacht waren das. Sie hatte das schon einmal erlebt. Hexenschuss im Hotelzimmer, Samstag abends und keine Apotheke oder ein Arzt in Reichweite. Höllenqualen hat die Grete da gelitten. Auch Herr Heinevetter hatte so etwas schon erlebt. Natürlich nicht nur einmal und natürlich tausendmal schlimmer, als es die Grete heute erwischt hat. Zumindest hörte sich das so an, nachdem er angefangen hat davon zu erzählen. Und nicht mehr aufhörte. Überhaupt, sei es ein Wunder, dass er noch lebt. "Wassergymnastik, Frau Meier, Wassergymnastik ist die Lösung. Seitdem ich das mache, is nix mehr mit Rückenschmerzen. Und wenn es mal zieht, Franzbranntwein!"

Franzbranntwein, Franzbranntwein, die Grete konnte es nicht mehr hören. Aber auch nicht fliehen, denn sie kam ja nicht mehr von der Bank hoch. Herr Heinevetter gab noch dies zum Besten und empfahl jenes Hausmittelchen. Grete schaltete vollkommen ab. Ihre gesamte Konzentration richtete sich auf den Schmerz und wie es wohl gelingen konnte diesen kurzzeitig so zu unterdrücken, dass sie aufstehen konnte. So bekam sie gar nicht richtig mit, dass der Herr Heinevetter wild gestikulierte und etwas vom Balkon rief. Runter auf die Straße.  Erst als er sagte "Ich geh mal eben zur Tür, stehense bloß nicht auf", wurde sie wieder aufmerksam. Aufstehen, na das ist mir mal ein Clown, dachte die Grete und sah ihm reichlich verdutzt hinterher. Nach ein paar Sekunden war er wieder zurück. Im Schlepptau befand sich der neue Mieter von unten. Noch ehe die Grete Luft holen konnte, schwang der sich über die Brüstung (die Balkone sind direkt aneinander gebaut, nur durch ein Mäuerchen getrennt) und stand vor der Grete. "Sie sehen ja schlimm aus. Ganz weiß um die Nase. Ich bin der Herr Wenig. Aber sie können ruhig Klaus zu mir sagen. Hexenschuss?"

Grete war so verdutzt, dass sie automatisch nickte. "Das haben wir gleich. Herr Heinevetter hat mich ja schon rufend informiert. Darf ich mal in ihre Küche?" Grete nickte wieder nur reichlich mechanisch. Was anderes blieb ihr auch nicht übrig. Klaus verschwand durch die Balkontür und stand nach ein paar Minuten mit einem Glas Wasser wieder vor der Grete. "Hier, nehmense die. Ibuprofen, das hilft gegen die Schmerzen. Und über die Nacht hinweg. Und morgen gehense mal gleich zum Arzt." Grete schluckte brav die angebotenen Tabletten. Klaus half ihr dann noch hoch und  verfrachtete sie ins Wohnzimmer auf die Couch.  Bevor sich die Grete bedanken konnte war er schon wieder auf dem Balkon verschwunden. Rüber zu Herrn Heinevetter und ab durch die Mitte.

"Sag ich doch Frau Meier, sag ich doch", klang die Stimme von Herrn Heinevetter durch die offene Balkontür. "Praktisch so ein Assistenzarzt im Haus. Praktisch. Und morgen bringe ich Ihnen ein Flasche Franzbranntwein rüber."


Und was sagt das Lieschen? Lest selbst ---> KLICK

8 Kommentare:

  1. Frl. Grete, ich leide mit ihnen. Jede Minute, jede Sekunde. Ich habe Voltaren immer im Haus - ohne wäre es schlimm.
    Ich hoffe, der Arzt konnte ihnen helfen. Aber einen Arzt im Haus - nicht das Schlechteste.Einen schönen Abend wünscht Dir
    Irmi

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    1. Im echten Leben, liebe Irmi, gibt es auch bei der Grete / alias Perdita Voltaren. Für den Fall des Falles. Danke dir
      Gruß vonner grete

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  2. Hallo Grete,
    wieder einmal toll erzählt. Du fühle ich mit und glaube mich sogar selbst vor Schmerzen zu krümmen. Schön finde ich, dass sich Franzbranntwein wiederholt. Manche Menschen sind wohl so gestrickt, dass vieles um Schnaps und Alkohol und Franzbranntwein dreht. Da ich selbst keine hochprozentigen Sachen trinke, kenne ich keinen Franzbranntwein. Schön finde ich natürlich auch, dass Du zum Schluß durch das Schmerzmittel von Hr. Wenig erlöst worden bist. Ich hatte schon ein Häufchen Elend vor meinen Augen, bis die Apotheke wieder geöffnet gewesen wäre.

    Wünsche einen schönen Tag
    Dieter

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    1. Hallo Dieter, hatte eigenntlich schon heute morgen geantwortet, aber scheinbar ist daraus nichts geworden. Franzbranntwein ist eine alkoholische Lösung aus reinem Alkohol, Campher, Menthol und ich glaube Fichtennadelöl. Ein Hausmittel zum Einreiben bei Gelenkschmerzen etc. Trinken kann man es nicht. Danke dir für deinen Kommentar zum Thema.
      Gruß vonner Grete

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  3. Wirklich praktisch - obwohl ein Chiropraktiker vielleicht noch praktischer gewesen wäre (theoretisch:)
    Gute Besserung an die Grete!

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    1. Chiropraktiker- praktisch - Herrlich das Wortspiel.
      Gruß vonner Grete

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  4. O Mann, wie schrecklich...diese Schmerzen habe ich beim Lesen beinahe selber gespürt.
    Wie sich Grete gefühlt hat, kann ich mir vorstellen, so hilflos, ausgeliefert - abgesehen von den Schmerzen.
    Ich glaube, dann ist einem alles egal, Hauptsache der Schmerz lässt nach.

    Franzbranntwein hilft nicht wirklich, in dem Moment ist in der Tat etwas Hochdosiertes nötig, um den Schmerz zu bannen und die Verkrampfung zu lösen, die alles nur verschlimmert.

    Echt Fräulein Grete, du tust mir leid und ich hoffe, dass es nun schon besser ist.
    Aber ich hoffe auch, du warst beim Arzt und wirst längerfristig etwas tun für deinen Rücken. Denn sonst kommt das wieder und wieder...
    Ach Mensch, was rede ich...Grete weiß das doch selber.

    Toll fand ich die spontane Nachbarschaftshilfe von Herrn Wenig. Gut, dass er dort eingezogen ist.

    Weiter gute Besserung!

    Toll geschrieben, ich habe wirklich mitgelitten...
    lg
    Enya

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    1. Dass du, liebe Enya, Schmerzen verspürt hast, das wollte die Grete natürlich nicht.Danke dir
      Druß vonner Grete

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Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...