Dienstag, 26. Januar 2016

Das Fräulein Grete Meier erkennt die Zeichen

Das Fräulein Grete Meier erkennt die Zeichen

So hatte sich das Fräulein Grete Meier den Montag nicht vorgestellt. Und dabei hatte der Tag im Grunde gut angefangen. Kein Glatteis, recht milde Temperaturen, sogar der Himmel hatte ein wenig Blau gezeigt. Und mit der Post war auch endlich das Paket aus Burano angekommen. Mit einer Ladung Lieschentee. Den könnte ich jetzt gebrauchen, dachte die Grete, während sie nervös auf dem Krankenhausflur auf und ab lief. Aber der ruhte ja noch friedlich auf dem Schreibtisch im Büro. Denn gerade als die Grete damit beschäftigt gewesen war die Kostbarkeit auszupacken, war der Chef ins Büro gekommen. Grußlos, was sonst überhaupt nicht seine Art ist, war er an Grete vorbeigelaufen. Da hätte es mir eigentlich schon auffallen müssen, schoss es ihr durch den Kopf. Nu mach dir mal keine Vorwürfe, schalt sie sich. Das konnte doch keiner ahnen. 
Irgendjemand klopfte auf ihre Schulter. Grete drehte sich um. Gott sei Dank, es war nicht der Arzt oder eine der Krankenschwestern. "Herr Wenig, jetzt haben sie mich aber erschreckt!"
Herr Wenig lachte. "Mensch Frau Meier, was machen sie denn hier. Sind sie krank?"
Grete packte Herrn Wenig am Arm und zog ihn zu der Bank, die im Gang stand. "Nee, ich nicht. Aber mein Chef." Ihre Augen füllte sich mit Tränen. 
"Nu setzen se sich erst mal, Frau Meier." Klaus Wenig drückte Frau Meier runter auf die Bank und nahm neben ihr Platz. "Und jetzt erzählen sie mir genau, was passiert ist. Sie sind ja ganz durcheinander!" Er reichte ihr ein Taschentuch.
Grete wischte sie die Tränen aus dem Gesicht und schneuzte kräftig in das Tuch. "Wenn ich doch nur mehr auf ihn geachtet hätte. Aber nein, die Karte von Lieschen zu lesen war mir wichtiger. Ach Gottchen ... und jetzt liegt er da ...  !"
Herr Wenig legte beruhigend seinen Arm auf Gretes Knie. "Nun mal gannz von vorne. Was hätten sie sehen müssen?"
Grete schneuzte sich noch einmal. "Naja, der Chef kam wie immer ins Büro. Ich war dabei ein Paket von Lieschen auszupacken. Und da war auch eine Karte mit drin von ihr. Und weil ich die lesen wollte, ist mir entgangen, wie merkwürdig der Chef sich benommen hat. Kein "Guten Morgen Frau Meier" und kein "Ist der Kaffee fertig". Er ist einfach an mir vorbei ins Büro gegangen. Ich hab gedacht, dass er vielleicht schlecht gelaunt ist und hab mich nicht weiter gekümmert. Dann wollte ich mir einen Lieschentee machen und bin in sein Büro. Eigentlich wollte ich nur fragen, ob er auch eine Tasse möchte. Aber er hat auf meine Frage gar nicht reagiert. Hat mich nur angestarrt. So richtig merkwürdig. Das ist mir durch und durch gegangen. Chef, habe ich gesagt. Chef, is alles in Ordnung? Und dann wurde es richtig gruselig. Er hat den Mund aufgeklappt, als wolle er etwas sagen, aber nee, kein Ton. Ganz rot wurde er dabei. Udn mit der flachen Hand hat er immer auf den Schreibtisch gehauen. Ich hab mich so erschrocken, dass ich rückwärts zur Tür bin. Bloß raus habe ich gedacht. Der ist durchgedreht. Und dann viel mir ein, dass ich da letztens einen Bericht im Fernsehen gesehen habe. Die haben da gezeigt, wie man einen Schlaganfall erkennt. Ich also raus, nach Berta gebrüllt und dann habe ich den Notarzt gerufen. Und nu simmer hier. Und keiner sagt mir was. Ich bin ja nur die Sekretärin. Und seine Frau ist noch auf dem Weg. Ach Gottchen .. hätte ich doch nur gleich ..." Grete schluchzte.
Herr Wenig drückte ihren Arm. "Sie haben alles richtig gemacht. Was hat denn der Notarzt gesagt?"
"Ja also", antwortete die Grete, "also der Notarzt hat auch gesagt, dass der Chef wahrscheinlich einen Schlaganfall hat. Und hat ihm gleich was gespritzt. Und er hat mich gelobt, weil ich so schnell reagiert hab. Dabei hätte ich doch viel früher ..." Jetzt weinte die Grete. 
"Einen Schlaganfall zu erkennen, ist nicht einfach, Frau Meier", versuchte Herr Wenig sie zu trösten. "Da können so viele Symptome sein, das ist auch für Ärzte manchmal schwer. Glaubense mir, ich weiß wovon ich spreche. Den Notarzt so schnell zu rufen, war das Beste, was sie für ihren Chef tun konnten. Und jetzt warten Sie mal. Ich geh mich mal erkundigen, was genau los ist."
Mit bangen Blick schaute Grete zu, wie Herr Wenig hinter einer der Zimmertüren verschwand.












2 Kommentare:

  1. Was für ein Schreck! Ich wünschte, ich hätte in der Situation diese Geistesgegenwart
    Herzlichst
    yase

    AntwortenLöschen
  2. Oh, oh, wie gut, dass die Grete da war und reagiert hat. Sie sollte sich keine Vorwürfe machen, hat doch alles richtig gemacht!
    Liebe Grüße

    AntwortenLöschen

Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...