Dienstag, 9. Dezember 2014

Das Fräulein Grete Meier wird sentimental

Das Fräulein Grete Meier wird sentimental 

Das Fräulein Grete Meier saß in ihrer Küche vor einer Tasse Lieschentee. Und schniefte. Laut. Ganz in ihrem Kummer versunken, häufte sie einen Löffel Zucker nach dem anderen in die Tasse. Erst als der Tee überschwappte und sich über der Weihnachtstischdecke ergoss, reagierte sie. Mit Schniefen. Noch lauter. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann lösten sich die Tränen. Grete weinte und weinte. Warum wusste sie selber nicht so genau. Wollte es auch eigentlich gar nicht wissen. Einfach nur weinen wollte sie. Sich ausheulen. Aber so richtig.
Grete schob die Tasse beiseite, legte ihren rechten Arm auf den Tisch, den Kopf in das Dreieck hinein und schluchzte was das Zeug hielt. Ganze 10 Minuten verharrte sie in dieser Position. Dann verebbte das Weinen langsam und die Grete richtete sich wieder auf. Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und griff nach einer Zigarette. Bist schon ne dumme Pute, dachte sie, während sie sich die Zigarette anzündete. Statt dich zu freuen, heulste hier rum. Ihr Blick fiel auf das Adventsgesteck auf dem Tisch und langsam stahl sich ein kleines Lächeln in ihre Mundwinkel. "Lieschen, Lieschen", sagte sie laut. "Wenn de das jetzt hier sehen könntest, du würdest mir das Gesteck um die Ohren hauen. Aber sowas von!"
Grete streckte ihe Hand aus und griff nach der bunten Karte, die sie vorhin in das adventliche geschmückte Grün gesteckt hatte. Sie betrachtete die bunte Vorderseite, drehte die Karte langsam um und las wohl zum hundersten Mal heute, was das Lieschen ihr geschrieben hat. Wieder kamen ihr die Tränen, aber diesmal schluckte sie sie tapfer hinunter. Ein Freude hat ihr das Lieschen doch damit machen wollen, mit diesem Gruß aus Burano, und ganz sicher nicht gewollt, dass sie hier wie ein Häufchen Elend sitzt.
"Ach Lieschen", seufzte die Grete. "Natürlich freue ich mich über die Karte. Gerade wo ich doch weiß, dass du nicht so gerne schreibst. Aber weisste, ich hab schon seit Tagen so sentimentale Anwandlungen und deine Karte war der berühmte Tropfen .." Grete stockte kurz, dann redete sie weiter. "Ich weiß nicht mal genau, warum. Wo ich doch im Grunde alles habe. Guter Job, liebe Kollegen, Tante Heidi und Onkel Günther und natürlich all meine Freunde hier im Haus. Ich muss noch nicht mal Angst haben, den Heiligabend alleine zu verbringen. Trotzdem fehlste mir. Und meine Eltern, und ach überhaupt ...Lieschen, das verstehste doch, oder?"
Auch wenn von der Karte keine Antwort kam, die Grete wusste genau, dass Lieschen alles versteht. Zumindest, und jetzt kicherte die Grete, würde sie so tun, als ob sie dafür Verständnis hätte. So wie es sich eben für Freundinnen gehört. Und dann, nach einer Weile, würde sie behutsam anfangen der Grete auf den Zahn zu fühlen. Dann hätte sie ganz sicher herausgefunden, dass sich die Grete doch so manches Mal einsam fühlt. Und dass sie sich Sorgen um die Gesundheit von Onkel Günther macht, dem man das Alter in letzter Zeit doch schon sehr ansieht. Lieschen hätte dann weiter gebohrt, bis Grete ihr erzählt hätte, dass ihr die vielen Überstunden zu schaffen machen und der Arzt mit ihrem Blutdruck so ganz und gar nicht zufrieden ist. Und dann, ja dann hätte sie der Grete den Kopf gewaschen. Ganz sanft und dennoch energisch. Und der Grete geraten, mal mehr an sich, als immer an andere zu denken. Ja, das hätte das Lieschen getan. 
Und die Grete wäre dann später, wenn das Lieschen längst wieder bei ihrem Hermann wäre, in sich gegangen und hätte über all das nachgedacht, was das Lieschen ihr gesagt hat. Die Schultern hätte die Grete gestrafft, tief durchgeatmet und gleich wäre es ihr viel besser gegangen. 
Und genau das tat die Grete jetzt. Tief durchatmen, die Schultern straffen und sich neuen Tee eingießen. Die Karte aus Burano wanderte wieder an ihren Platz zurück. Liebevoll zupfte die Grete die Tannenzweige wieder zurecht. Zufrieden mit sich und der Welt lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Mittwochnachmittag, dampfender Kaffee, Apfelkuchen und das Lieschen. Glücksgefühle schwappten in Grete hoch. Hach, wie herrlich sind doch solch schöne Erinnerungen. Mehr wert als alles Gold der Erde.
 





14 Kommentare:

  1. Wir Frauen können weinen und dürfen es auch, so mancher Mann verkneift es sich. Ich habe heute auch so einen Tag, an dich ich hier sitze und heule, einiges ist schief gegangen, aber morgen ist ein neuer Tag, der sicherlich besser wird.

    Tränen sind oft Erlösung und bei einer so schönen Karte der lieben Freundin, wer versteht das nicht. LG Geli

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  2. Liebe Geli ..ich schick dir mal einen virtuellen Blumenstrauß ...Vielleicht heitert dich das etwas auf ..
    Lieben Gruß vonner Grete

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  3. So eine gute Freundin, deren Worte sogar in Abwesenheit helfen, was hast Du für ein Glück, so eine verwandte Seele zu haben.
    Schönen Abend und herzliche Grüße, zwar nicht aus Burano, aber aus Italien:-)
    Kebo

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    1. Nochmal Grüße aus Italien ..da freue ich mich aber...und ja..es ist toll so eine Freundin zu haben.
      Gruß vonner Grete

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  4. Liebe Grete,

    ich habe dir auch eine Karte geschickt, und ich bin auch ein Lieschen. Aber so durfte
    mich nur der für mich beste Mann der Welt nennen, nämlich mein Vater.

    Liebe Grüße von
    Elisabeth

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    1. Karte ist gut angekommen. Habe mich ehrlich gefreut. Ist ja nicht mehr oft, dass Handgeschriebenes im Postkasten landet.
      Gruß vonner Grete

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  5. Ach Grete, wer kennt das nicht. Manchmal muss man Weinen, Heulen, Schniefen, und es tut richtig gut. Soll ja auch nicht ungesund sein.
    Wie wunderbar, wenn es dann ein Lieschen gibt, die auch aus der Ferne trösten und den "Kopf waschen" kann. Eine tolle Freundschaft.
    Ich denke, gerade in dieser Jahreszeit, lebt auch das Dunkle in unserem Inneren immer wieder auf.
    Wie schön, dass es dann solche erinnerungen gibt, die in uns verwurzelt sind und die uns wieder rausholen.
    Ich kenne das gut.

    Lieben Abendgruß
    Enya

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    1. Hallo Enya... solche Erinnerungen sind überlebenswichtig...und deshalb so wertvoll.
      Danke dir
      Gruß vonner Grete

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  6. Liebe Grete,
    manchmal tut es richtig gut zu weinen, habe ich gestern auch gemacht, lange und ausgiebig und es hat mir auch gut getan. Heute bin ich zwar etwas gerädert, aber das wird schon wieder. Ich finde es toll, wie das Lieschen dich aus der Ferne berühren kann und sogar Hilfe bietet, allein aus der Erinnerung heraus, was sie wohl gesagt oder getan hätte, um dich zu trösten!
    Alles Liebe
    Regina

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    1. Ja, liebe Regina..das Lieschen ist schon eine feine Freundin. Und ich gebe dir recht. Manchmal muss man einfach weinen...damit es wieder bergauf geht.
      Gruß vonner Grete

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  7. Die Weihnachtszeit, die hat es echt in sich. Da kommen manchmal Gefühle hoch, mit denen man gar nicht so gut umgehen kann. Gut, dass jetzt alles wieder gut ist - und die Erinnerung ist ein besonderer Schatz. LG Martina

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    1. Hallo Martina. ..die Weihnachstzeit ist eben eine besondere. War immer so und wird es hoffentlich auch noch lange bleiben.
      Dank an dich
      Gruß vonner Grete

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  8. Ach Grete! Weinen tut manchmal gut. Gerade, wenn der Alltag zu viel wird (wenn dein Blutdruck zu hoch ist, möchte dein Körper dir vielleicht etwas sagen?). Genau dann richtet unsereins den Blick gern auf die Mitmenschen und sorgt sich um sie. Das ist zwar sehr lieb und auch bis zu einem gewissen Grad richtig. Aber Grete, achte auch auf dich!
    Das Lieschen, wenn sie da wäre, hätte genau die richtigen Worte gefunden! Vielleicht solltet ihr mal wieder telefonieren und einen Besuchstermin in 2015 ausmachen? :-)
    Liebe Grüße,
    Frauke

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  9. totaaaaaaaaaaaaal berührend und mir ganz und gar nicht unbekannt.....
    schnupffffffffffffffffffff ich mir dir mit und weiss genau, Ja, das muss manchmal sein, es macht und wieder klar und innendrin rein...Tränchen trösten über viele Situationen und Empfindungen hinweg.....
    wie de siehst liebes Gretchen, auch deine "älteren" beiträge kommen gutbeimichan"...und ich les sie auch wenn sie längst für andere wieder vergessen sind....

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Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...