Das Fräulein Grete Meier und die Bienen
"Das hab ich mir verdient, Herr Heinevetter. Sie glauben ja gar nicht wie." Wohlig streckte das Fräulein Grete Meier ihre Beine aus. "Feierabend, 20 Grad und einen Becher Spaghettieis. Was will man mehr!" Genießerisch leckte sie ihren Löffel ab, bevor sie ihn wieder in das sahnige, eiskalte Vergnügen tauchte. Von Herrn Heinevetter war nur ein zufriedenes Brummen zu hören. Er war viel zu sehr beschäftigt mit seinem Walnusseisbecher.
"Is doch richtig klasse, dass hier in unserem Viertel noch ein Eiswagen fährt", meinte die Grete. Herr Heinevetter nickte zustimmend und beugte sich über die Balkonbrüstung. "Nur reichlich teurer als früher. Die Kugel einen Groschen. Das waren noch Zeiten. Bald kann man sich gar nichts mehr leisten, noch nicht mal ein Eis!"
Grete lachte. "Ach kommense, heute verdienen wir ja auch viel mehr Geld als früher. Kann man doch gar nicht vergleichen, die Preise. Nich knöttern, genießen Herr Heinevetter, genießen!" Und überhaupt, einem geschenkten Gaul ... aber das dachte die Grete nur. Schließlich kannte sie Herrn Heinevetter in- und auswendig und wusste dementsprechend ganz genau, wie sehr er sich über das von ihr spendierte Eis freut.
Während die Grete weiter von ihrem Eis aß und über die Eigenart von Herrn Heinevetter, ständig über alles zu meckern, nachdachte, bemerkte sie nicht, dass dieser mit offenem Mund in den Himmel starrte.
"Und dann, Lieschen, du glaubst es nicht, fing der plötzlich an zu schreien. Von wegen ich soll in die Wohnung rennen und die Tür verschließen. Vor lauter Schreck habe ich meinen Eisbecher fallen lassen. Mir zittern immer noch die Knie. Diese schrecklichen Biester." Grete machte am Telefon eine kunstvolle Pause. "Tot hätte ich sein können!" Stille am anderen Ende der Leitung. Und so setzte Grete noch einen drauf. "Mausetot!"
Durch den Hörer drang ein Lachen an Gretes Ohr. "Nu mal langsam, Grete und vor allem von vorne. Ich komm ja gar nicht mehr mit. Wieso tot, und was für Biester?" Wie immer holte Lieschen mit ihrer Sachlichkeit die Grete wieder auf den Boden zurück. Zumindest ein wenig. Denn die war noch immer so aufgeregt, dass selbst ein Betonklotz ihre Bodenhaftung nicht hätte wiederherstellen können.
"Na die Bienen. Hunderte sag ich dir. Ach was, tausende. Millionen! Und alle wollten mich stechen!" Alleine die Erinnerung daran erzeugte bei der Grete Angst und Ekel. Denn wenn sie eines auf den Tod verabscheute, dann waren das stechende gruselige Viecher, die ihr ans Leder wollten.
So nach und nach bekam das Lieschen dann die ganze Geschichte aus der Grete heraus. Herr Heinevetter hatte wohl zuerst nur ein tiefes Brummen gehört und dann am Himmel eine schwarze Wolke entdeckt, die direkt auf die Balkone von ihm und Gete zukam. Schnell hatte er erkannt, dass es sich um einen Bienenschwarm handelte, nichts ungewöhnliches für diese Jahreszeit. Denn immer, wenn es in einem Bienenstock eine neue Königin gibt, teilen sich die Völker und die Bienen schwärmen aus, einzig um einen neue Heimat zu finden, also einen neuen Stock zu gründen. Selber völlig verschreckt, hatte er dann nur noch geschrien, die Grete solle sich in ihre Wohnung retten. "Na, und ich hab nix kapiert. Mein Eis lag auf dem Boden und der feine Herr war verschwunden. Ich hab nur noch das Knallen seiner Balkontür gehört.Und dann das Brummen. Lieschen, das war so schrecklich. Instinktiv bin ich dann auch rein. Tür zu. Gerade noch rechtzeitig. Ein Bienenschwarm, auf meinem Balkon! Ich bin immer noch fix und alle." Grete fing fast an zu weinen.
"Echt jetzt, Grete, auf deinem Balkon, ein ganzer Bienenschwarm?" Lieschen mochte es nicht so recht glauben. Grete zögerte etwas mit der Antwort. Das Lieschen aber auch alles immer so genau wissen wollte! "Naja, nicht so richtig. Die sind weitergeflogen. Aber ein paar haben sich auf meine Brüstung gesetzt und auf mein Eis. Ein paar viele!"
Pflichtbewusst bedauerte das das Lieschen die Grete. Die merkte allerdings ganz schnell, dass das nicht so ernst gemeint war. "Jaja, nimm du mich nur noch auf den Arm. Ich hatte eine Höllenangst." Aber sie lachte dabei immerhin schon wieder, sich durchaus bewusst, dass sie mal wieder maßlos übertrieben hatte. Und nach einigen Minuten Plauderei war das Thema Bienen zu den Akten gelegt.
Nicht so für den Herrn Heinevetter, wie die Grete am nächsten Tag noch feststellen sollte. Mit viel Mühe hat sie ihn nämlich gerade noch davon abhalten können, seinen Balkon rundherum mit einem Fliegengitter abzudichten. Zuerst hat er ja nicht hören wollen, aber als die Grete ihm erklärte, dass dieses Gitter die tägliche Balkonplauderei doch empfindlich stören würde, war er einsichtig. Zumal er ja, wie er versicherte, noch eine Geheimwaffe hätte, die er stolz der Grete präsentierte. "Hat mir mein Neffe mitgebracht. Eine Rauchbombe. Wenn die nochmal kommen, na, ich sage ihnen Frau Meier, dann lernen die mich kennen. Aber sowas von!"