Mittwoch, 22. April 2015

Gretes Senf am Mittwoch (22.04.15)

Gretes Senf am Mittwoch (22.04.15)

Der alte Mann mit dem Rollator gibt ein merkwürdiges Bild ab. Ich betrachte eine ganze Zeit das Foto von ihm. Mit gemischten Gefühlen. Wüsste ich nicht, was ich weiß ... nämlich dass dieser grauhaarige Mann sich mitschuldig gemacht hat an der Ermordung zig Tausender Menschen ... ich würde ihn glatt für den netten Opa von nebenan halten. Aber so ... 
Und wieder mal wird mir bewusst, wie unverständlich die deutsche Vergangenheit für mich ist. Nicht nachvollziehbar. Nicht mal im Ansatz. Und ich frage mich, wie schon so oft, woran das liegt. Weil ich heute darum weiß und man damals eben nicht wusste? Oder so tat? Und wenn jemand wusste, und dazu gehörten sicherlich ganz viele, überstieg das auch deren Vorstellungskraft und wurde deshalb verdrängt? Ich finde keine Antwort.
Auch im Gesicht des alten Mannes nicht. Zumal er so freundlich lächelt. Irgenwie möchte ich ihm ja glauben, dass er sich mehrere Male versetzen lassen wollte, als er erkannt hatte, was da vor sich geht. Und doch, ich kann es nicht. Da ist zu viel Schuld. Wie konnte er damit nur leben? Spielt auch hier Verdrängung eine Rolle? Verdrängung um seiner Selbstwillen, um sein Seelenheil zu bewahren? In einem Interview soll er mal gesagt haben, dass er seine Frau gebeten hat, ihn nicht zu fragen, was er alles gesehen, erlebt und auch getan hat. Und sie hat sich wohl daran gehalten. Um ihrer Selbstwillen.
War es das? Einfach die Augen verschließen, die Ohren auf Durchzug schalten, nichts fragen und nichts sagen.
Ist es das auch noch heute? Wenn ich mir die ganzen Flüchtlingsdramen anschaue, die sich vor unseren Augen abspielen, die dennoch kaum jemanden berühren (denn sonst wäre längst etwas getan worden), vor allem unsere europäischen Politiker nicht, dann fühle ich mich schwer an dieses Zeit erinnert. Die ich nicht miterlebt habe, und die mich dennoch verfolgt. Geschäfte werden da gemacht, mit der Not anderer Menschen. Schlepper gab es auch damals.Vielleicht nicht in dieser Form, aber ähnlich. 
Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an ein kleines gelbes Heft aus der"Reclam" -Reihe. Das Hörspiel von Fred von Hoerschelmann aus dem Jahre 1953. "Das Schiff Esperanza".
Die Geschichte hat mich damals in der Schule schon tief berührt. Und ist heute aktueller denn je. 

Der alte Mann wird seine Schuld niemals abtragen können. Er wird sie mit ins Grab nehmen. Denn es gibt sie nicht, die gerechte Strafe. Nicht in diesem Fall. Nicht so spät. 

Gruß vonner Grete








6 Kommentare:

  1. Es ist so schwer zu urteilen wie war das damals, was hat wer gewusst und warum. Ich bin hilflos, höre das was Überlebende berichten. Das Schiff Esperanza - ich kenne es so gut, denke so oft daran und finde es erstaunlich, dass du gerade das erwähnst, ein Buch, dass bei mir einen unlöschbaren Eindruck hinterlassen hat, tief eingebrannt. Danke

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  2. Verdrängung spielt da wohl eine große Rolle,
    bei allem, was du angesprochen hast.
    Vor allen Dingen, wenn man nicht weiß, was man tun kann.
    Dann lieber...Augen zu....
    Bittere Realität.

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  3. Auch wir werden uns eines Tages von der nachfolgenden Generation fragen lassen müssen: Warum habt ihr es nicht verhindert? Und da gibt es noch viiieeel mehr, was verhindert werden müsste, als das von dir angesprochene Flüchtlingsthema. (Du weist uns ja immer wieder auf solche Missstände hin, was ich wirklich toll finde.) Es ist diese: Ich-kann-ja-nichts-machen-Mentalität, dieses Verdrängen eines Problems, dieses Schreien nach Hilfe durch andere, die uns lähmt und letztendlich nichts tun lässt. Dabei beweist unsere eigene Geschichte ja auch die andere Seite, dass man nämlich wohl etwas machen und verändern kann - ich denke an den Fall der Mauer. Klar, ich bin nur eine Person - wie schnell wird daraus eine große Masse und die kann sehr wohl etwas verändern!!! Allerdings in beide Richtungen!!! Danke für den Post!!

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  4. Ich finde es sehr schwierig aus der heutigen Sicht, gerade auch der moralischen Weltsicht, die Vorgänge von Damals zu beurteilen. Natürlich, es war grauenhaft, aber die Menschen wurden völlig anders erzogen und lebten in einer anderen Weltlage - im Vergleich zu heute.

    Wenn ich manche Nachrichten sehe, von irgendwelchen fanatischen Glaubenskriegern, dann scheint es auch heute noch Menschen zu geben, die zu allem bereit sind und keine Zweifel an der Richtigkeit ihres Handelns haben.

    Es bleibt also ein schwieriges Thema.

    Liebe Grüße aus dem sommerlichen Odenwald
    Björn :-)

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  5. Gerechte Strafen gibt es nicht, so spät erst recht nicht. Für die Angehörigen ist es wichtig, dass er verurteilt wird, die Strafe ist eine andere Sache.
    Auch wenn Menschen anders erzogen wurden und in einer anderen politischen Weltlage lebten, gibt es keinerlei Rechfertigung für die Ermordung der Juden.
    Gerade ist das Thema Völkermord in den Medien, da tut sich die Regierung schwer mit dem Wort. Warum wohl?
    Warum überhaupt ist es immer noch so schwierig darüber zu reden,jeder hat Dreck am Stecken und es ist unangenehm der Wahrheit ins gesicht zu sehen.
    danke, dass du diese Vorfälle thematisierst.
    Klärchen

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  6. das beschäftigt einen sehr der darüber bereit ist - auch heute noch nachzudenken, unsere heutige Vorstellungskraft lässt solche verbrechen einfach nicht zu, wir schieben sie weg weil sie keiner begreift.ich denke dass damals viele aus Angst selbst mitbeteiligt zu sein oder zu werden - die Augen geschlossen haben, aus selbstschutz, oder ja manche waren sicherlich verblendet und glaubten was man ihnen vorgaukelte und spielte....
    wenn aber - eine ehemalige Wärterin heute im Interview behauptet, sie hätte doch nichts davon gewusst dann ist das haarsträubend, da betreibt einer seit Jahren Vogelstrasspolitik und das sehr gut.
    Mit ihrem gewissen müssen sie dennoch leben (wenn sie denn eines haben) so wie der alte Mann im zeugenstand dem man auch nichts mehr am gesicht ablesen kann...
    ein Thema das nie unberührt bleiben sollte, schon gar nicht wenn man die heutige Entwicklung der Braunen verfolgt...das macht einem Angst....
    sehr nachdenklich zurückbleibend, nch solchen sendungen - und Gesprächen hab ich immer das gefühl einschlafen und abschalten geht gar nicht!!!...

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Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...