Dienstag, 19. Mai 2015

Von einem Streik und einem feinen Herrn

Von einem Streik und einem feinen Herrn

Es klingelte an der Tür. Sturm. Das Fräulein Grete Meier stellte entnervt ihre Kaffeetasse beiseite und ging in den Flur. Wenn das wieder der Herr Heinevetter ist, dann ... zigmal habe ich ihm doch vorhin erklärt, wie das neue Handy von ihm funktioniert. Missmutig und auf alles gefasst, öffnete die Grete die Tür. Doch nicht Herr Heinevetter stand davor, sondern eine völlig aufgelöste Frau Korters. "Frau Meier, Frau Meier, sie müssen mir helfen. So ein Unglück aber auch. Nee, das kann nur mir passieren." Mit diesen Worten schob sie sich an der erstaunten Grete vorbei und ab ging es in die Küche. Grete folgte ihr langsam, ohne den Redefluss zu unterbrechen. "Ich sag ihnen Frau Meier, dieser Streik, der bringt mich noch um den Verstand. Solche Saubeutel, solche. Aber, mit mir armen alten Frau kann mans ja machen. Nachgucken haben die eben im Fernsehen gesagt. Wo ich doch kein Internet habe. Pah ..." 
Grete, noch immer stumm, drückte Frau Korters auf einen Stuhl. Nahm eine Tasse aus dem Schrank und schenkte Kaffee ein. 
"Nu sagense doch auch mal was, Frau Meier. Das ist doch nicht richtig!" 
"Ich würd ja gerne was sagen, Frau Korters", erwiderte die Grete. "Wenn ich auch nur ein Wort verstehen würde von dem, was da so aus ihrem Mund quillt. Aber ich verstehe nur Bahnhof!" 
Frau Korters holte tief Luft. "Eben, Frau Meier, darum geht es ja auch." Jetzt verstand die Grete überhaupt nichts mehr. "Was ist denn mit dem Bahnhof?"
Fünf Minuten später war die Grete dann doch im Bilde. Lokführerstreik. Mal wieder. Und ausgerechnet morgen wollte die Frau Korters zu ihrer Schwester nach Frankfurt fahren. Zum 80. Geburtstag. Mit dem Zug. "Kann denn nicht ihr Sohn ...?"
"Ach der", wehrte Frau Korters ab. "Der ist doch in Urlaub. Und nun steh ich da. Ohne Internet!"
Nun, was das Internet damit zutun hatte, leuchtete der Grete noch nicht so ganz ein. Also fragte sie vorsichtig nach. Schnell war dann auch diese Sache geklärt. Im Fernsehen hatte man immer wieder darauf hingewisen, dass es einen Notfallplan geben wird. Und man solle doch im Internet nachschauen, welche Züge fahren und welche ausfallen. "Das müssense sich mal vorstellen, die machen es sich einfach, als ob jeder Internet hätte und den Herrn Google. Frau Meier, sie müssen mir helfen. Fragense den Mann doch mal ob mein Zug morgen fährt." 
Grete musste grinsen. In all den Jahren hatte es Frau Korters nie so richtig kapiert, dass es sich bei Google um eine Suchmaschine handelt und nicht um einen Herrn, der die Fragen der Menschen beantworten kann. Was hatte die Frau Korters neulich erst verdutzt aus der Wäsche geguckt, als Herr Heber in sein Smartphone sprach, weil er Samstagsabends eine Apotheke suchte. Luis hatte nämlich Ohrenschmerzen gehabt. "Ok Google, wo ist die nächste geöffnete Apotheke!" Mit offenem Mund hatte sie daneben gestanden. Und als dann auch noch eine Frauenstimme Antwort gab, mit der Adresse der nächsten Apotheke, hatte sie die Welt nicht mehr verstanden. Alle Erklärungsversuche von der Grete und Herrn Heber hatten nichts genutzt. "Nu hörense schon auf. Sie können mir viel erzählen. Das ist bestimmt seine Frau. Oder seine Sekretärin. Der Mann muss ja schließlich auch mal Pause machen." Und damit war die Sache für Frau Korters erledigt gewesen. 
Grete bemühte sich, ihr Grinsen weitgehendst zu unterdrücken. Schließlich war sie daran nicht so ganz schuldlos. Wo sie doch selber immer von Mr. Google sprach. 
Sie schnappte sich die zwei Kaffetassen und bedeutete Frau Korters einen Stuhl mitzunehmen und ihr damit ins Wohnzimmer zu folgen. "Na, dann wollen wir mal sehen, was Mr. Google so über ihren Zug sagt." 
Grete schaltete den Pc ein und landete mit wenigen Klicks auf der Auskunftsseite der Bahn. Frau Korters hatte sich Abfahrtszeit und Zugnummer auf einem Zettel notiert und so brauchte die Grete nicht lange, um die Verbindung zu suchen. "Alles in Butter, Frau Korters. Der Zug hier fährt zwar nicht, aber sie können einen Zug nehmen, der eine Stunde früher fährt. Ohne Probleme. Und ich fahre sie morgen zum Bahnhof und bleibe bei Ihnen, bis sie im Zug sitzen. Ich kann ruhig ein wenig später ins Büro fahren. Na, ist das was?"" 
Frau Korters war sichtlich erleichtert und drückte Gretes Hand. "Der Herr Google ist schon ein feiner Mensch. Gell?"









7 Kommentare:

  1. Dein Post ist super...
    Ich will bei dir nichts mehr verpassen und schiebe dich in meine Blogliste.
    Liebe Grüße von Sylvia

    AntwortenLöschen
  2. Herr Google?
    Ich dachte immer, es wäre Tante Google.
    Nun bin ich aber verwirrt.

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Grete,
    ich lach mir eins, so amüsiert mich dein Eintrag, eine gute Vorraussetzung für einen gelungenen Tag, denke ich!
    Vielen Dank und liebe Grüße
    Regina

    AntwortenLöschen
  4. Sach mal Grete - am Kopf kratz - woher weiß denn die Frau von Herrn Google, welche Apotheke Notdienst hat? Ichdenganzentagdarübernachdenkenwerd!!! Danke, du hast mir mit deinem fröhlichen Post den Start in den Tag versüßt! LG Martina

    AntwortenLöschen
  5. Spitze,so hat man trotz so einem unerfreulichen Thema doch noch etwas zu lachen.
    LG Pippi

    AntwortenLöschen
  6. Das war jetzt so richtig schön! Da fällt mir ein, ich wollte den Herrn Google heute unbedingt auch noch etwas fragen. Hoffentlich ist er zu Hause. Ich meine ja nur, wegen Pfingsten und so. Dann ist seine Frau vielleicht auch weg. Und wer beantwortet mir dann meine Fragen? Die Nachbarin, die sich um die Katzen und die Blumen kümmert?
    LG
    Astrid
    P.S. Ich nehme Dich in meine Blogroll auf.

    AntwortenLöschen

Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...