Das Fräulein Grete
Meier und die Stille
Vor einiger Zeit war das Lieschen
mal für ein paar Tage auf einem Seminar. Da wurde aber nichts gelehrt, so wie
man das von Seminaren kennt. Da wurde geschwiegen. Keine Vorträge, keine
Lerngruppen, einfach nur Stille. Als das Lieschen dann wieder zurück war, hat
ihr das Fräulein Grete Meier natürlich Löcher in den Bauch gefragt. Kein Wort
hat man gesagt, gar nichts? Auch nicht beim Essen? Was habt ihr denn da
gemacht, habt ihr euch nur angestarrt?
Das Lieschen hat geduldig
alles beantwortet. Und hat auch erzählt, wie gut ihr das getan hat. Einfach mal
nicht reden, nur lesen, spazieren gehen, meditieren und den eigenen Gedanken
nachhängen. Selbst der Herrmann durfte sie nicht anrufen. Handy war
ausgeschaltet.
Die Grete war ganz schön
irritiert. Schweigen ist ja so überhaupt nicht ihr Ding. Natürlich ist so oft
nach der Arbeit allein zuhause. Da redet
sie mit niemandem. Aber das Radio läuft. Und dann ist da ja auch immer mal
wieder der Herr Heinevetter nebenan auf dem Balkon. Mit dem hält die Grete fast
jeden Tag ein Schwätzchen. Auch im Winter. Dann aber nur kurz. Oder sie
telefoniert. So ist es auch am Wochenende. Bei schönem Wetter geht sie gerne in
den naheliegenden Park. Da sitzt immer jemand den die Grete kennt.
Auch wenn die Grete das mit
dem Schweigen nicht so ganz nachvollziehen kann, sagt sie immer: Was dem
Lieschen gut tut, ist für das Lieschen richtig.
Irgendwie ging dem Fräulein
Grete Meier dieses "freiwillige schweigen müssen" nicht mehr aus dem Kopf. Die letzte
Arbeitswoche war recht anstrengend gewesen und so beschloss die Grete am
Sonntag zu schweigen. Ganz für sich alleine. Einfach nur ihren Gedanken nachhängen,
das wollte sie. So wie das Lieschen.
Das Telefon wurde
abgeschaltet, das Radio blieb aus. Die Balkontür ( wegen dem Herrn Heinevetter)
zu. Eine Weile schlich sie um den PC herum, schaffte es aber, ihn nicht
anzuwerfen. In der Wohnung von der Grete war es still. Das Stille so still sein
konnte, verwunderte das Fräulein Grete Meier nun doch. Sie setzte sich in ihren
bequemsten Sessel, nahm ein Buch und las … und las … und las. Und blieb still. Bis
die Wörter vor ihrer Nase tanzten. Ein kleiner Snack und dann wurde die Nase in
die Sonntagszeitung gesteckt. Das wurde ihr Verhängnis. Soviel Neuigkeiten, das
musste die Grete erstmal verdauen. Der belgische König dankt ab, Merkel stolpert
jetzt wohl doch über die NSU-Affäre und am Bodensee bebt die Erde. Es brodelte
im Gehirn von der Grete bis in die letzten Windungen. Geothermie, darüber muss
sie sich unbedingt mit dem Lieschen austauschen.
In letzter Sekunde (das Ohr
war schon am Hörer!) rief die Grete sich zur Ordnung. Schweigen wollte sie
doch, den ganzen Tag. Also wenn das Lieschen das ein paar Tage schafft, dann
wirst du es doch mal einen Sonntag schaffen, machte sich die Grete Mut.
Angespannt tigerte das
Fräulein Grete Meier durch die Wohnung. Zur Küchentür, zur Schlafzimmertür und
wieder zurück ins Wohnzimmer. Zur Zeitung zurück traute sie sich nicht mehr. Nach
einer halben Stunde war ein frisch manikürter Fingernagel angeknabbert. Das
ging ja gar nicht. Nägelkauen, das macht das Fräulein Grete Meier nie. Niemals.
Nie nicht nie.
Entschlossen riss sie die Balkontür
auf. "Hamse schon gehört, die Merkel dankt ab, wegen den
Geothermie-Bohrungen. In Belgien bebt die Erde und der Bodensee ist über die
NSU-Affäre gestolpert." Das Fräulein Grete Meier war sichtlich erleichtert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...