Dienstag, 22. Oktober 2013

Das Fräulein Grete Meier hält Kriegsrat

 Das Fräulein Grete Meier hält Kriegsrat

Aufgeregt war der Herr Heinevetter vorhin als die Grete nach Hause kam. Völlig aufgelöst. Total von der Rolle, wie Grete immer sagt. Deshalb hat sie zuerst auch nichts verstanden von dem, was alles aus dem Mund von Herrn Heinevetter sprudelte. "... zu alt ... Gefahr für die Öffentlichkeit ... die arme Frau ... schrecklich, einfach schrecklich ... aber ich muss doch auch mal zum Arzt und einkaufen ... abgeben, morgen gleich ... ich bin doch kein Mörder!" An dieser Stelle wurde die Grete so richtig hellhörig. Mörder, der Herr Heinevetter? Was hat der bloß wieder angestellt.
"Jetzt atmen se mal tief durch Herr Heinevetter. Und dann machense die Zigarette aus und kommen rüber. Ich koch Lieschentee. Der beruhigt. Und dann werden wir schon sehen, wer hier ein Mörder ist!"
In Gretes Küche, zwischen Lieschentee und Haferflockenplätzchen, kam dann bruchstückweise raus, was den Herrn Heinevetter so in Aufregung versetzt hat. 
In der Zeitung hatte er von einem schrecklichen Unfall gelesen. Ein älterer Herr hat auf einem Parkplatz bei Ausparken eine Frau angefahren. Nicht nur einmal, sondern gleich ein zweites Mal, nachdem die Frau wieder aufgestanden war. "Ein Baby hatte die dabei und ein kleines Mädchen. Und nu isse tot. Fünf kleine Kinder soll die haben. Ach das ist so schrecklich!" Schrecklich fand die Grete das auch. "Aber was hat das mit ihnen zu tun, das verstehe ich nicht."
"Was gibbet da nicht zu verstehen, Frau Meier. Habense nicht zugehört? Ein älterer Mann! Also so einer wie ich es bin. Klingelts?" Grete kapierte noch immer nichts und zeigte das auch deutlich. "Häääh?" 
"Also heute sind se aber schwer von Begriff, Frau Meier. Das könnte mir doch auch passieren. Denkense mal an meine Augen. So richtig gut sehen ist anders. Und dann, toter Winkel und so. Neee, neee, ich geb morgen sofort meinen Führerschein ab. Da kann mich keiner von abhalten. Ich bin kein Mörder! Und mein Auto geb ich meinem Neffen. Nur, Fau Meier, ein wenig bange ist mir schon. Wie soll ich denn jetzt meinen Wocheneinkauf erledigen. Mit der Bahn müsste ich ja dreimal hin und herfahren, um alles zu besorgen. Das schaff ich doch gar nicht mit meinem kaputten Knie!" Ganz unglücklich klang er, der Herr Heinevetter. 
Grete schickte ihn erstmal auf den Balkon. "Rauchen sie erstmal in Ruhe eine. Ich überleg mir was." Nach ein paar Minuten kam die Grete zu dem Schluss, dass sie Helfer bei ihrem Vorhaben braucht. Also klingelte sie bei den Hebers. Und sie hat Glück gehabt. Herr Heber war schon zuhause. Grete schilderte ihm das Problem. Herr Heber eilte zu Herrn Wenig und kurz darauf war jeder Stuhl in Gretes Küche besetzt. Sogar Frau Korters hat es sich nicht nehmen lassen, unterstützend an der Krisensitzung teilzunehmen. Grete kochte noch mehr Lieschentee und füllte die Schüssel mit den Plätzchen auf. Nach kurzem Palaver war die Sache geklärt und Grete holte Herrn Heinevetter dazu. Der war ganz schön erstaunt, die halbe Nachbarschaft in Gretes Küche vorzufinden. Grete nickte ihm aufmunternd zu und erteilte Herrn Heber das Wort.
"Alos, lieber Herr Heinevetter, es gibt da noch eine Möglichkeit. Meine Frau geht mit ihnen nächste Woche zum Optiker und dann wird ihre Sehkraft überprüft. Vielleicht brauchen sie ja nur eine stärkere Brille. Und wenn das geklärt ist, wird der Herr Wenig sie zu einem Freund mitnehmen, der eine Fahrschule hat. Und da machen Sie dann einfach nochmal einen Fahrtest. Das gibt es nämlich, sowas. Und dann, aber erst dann, Herr Heinevetter, sehen wir weiter. Den Führerschein können sie auch in zwei Wochen noch abgeben." Jetzt viel ihm die Grete ins Wort. "Und wenn es soweit kommt, dann fahren sie einfach mit mir zum Einkaufen. Mein Autochen schafft auch zwei Wocheneinkäufe. Und wenn sonst irgendwas anliegt, wo sie nicht mit Bus oder Bahn hinkommen, kriegen wir das auch geregelt. Nu, was sagen sie?"
Herr Heinevetter sagte nichts. Er schaute nur jeden einzelnen überrascht an. "Nee, was bin ich froh, dass meine Hilde nie hier wegziehen wollte. Solche Nachbarn, hat sie immer gesagt, solche Nachbarn haben wir nur hier. Wenn das alles so stimmt, was ihr sagt, dann brauch ich ja vielleicht wirklich meinen Führerschein nicht abgeben. Kann ich noch ein Tässchen, Frau Meier? Hamse übrigens schon gehört ... "


Was Lieschen zu allem sagt, gibt es hier zu lesen --> KLICK

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5 Kommentare:

  1. Wie sachlich löst die liebe Grete den Kummer von Herrn Heinevetter. Ich bin sehr beeindruckt und auch ein wenig gerührt. Das ist nicht selbstverständlich. Seh- und Reaktionstest - wie oft habe ich daran schon gedacht, wenn ich sehr alte Menschen sehe, die mit dem Auto fahren und ihren Führerschein vor 60 Jahren gemacht haben...

    Nachbarschaftshilfe ist sehr wertvoll. Wer denkt den heute noch an andere, jeder ist sich selbst der nächste, das ist so schlimm geworden, oder war das immer so?? Ich helfe immer gern und freue mich an der Freude der anderen.
    'Wie gut, dass es die Grete gibt

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  2. Gute Nachbarschaft, das ist etwas ganz Tolles und Wunderbares.
    Ich glaube, viele Menschen heutzutage wissen gar nicht mehr, was das eigentlich bedeutet.
    Die meisten Menschen haben Angst vor zu viel Nähe und bleiben lieber in ihrer Anonymität eingeschlossen. Eine gute Nachbarschaft bedeutet aber nicht, dass man nun kein Individuum mehr ist, sondern dass man sich mit Empathie und Feingefühl einander nähert. Und wenn dann Not am Mann/Frau ist einfach zu helfen., So, wie es die liebe Grete meisterte.
    Dann weiterhin auf gute Blog-Nachbarschaft.
    Herzliche Grüße
    Jutta

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  3. Ach was für eine schöne Geschichte liebe Grete. Wäre es nicht wunderschön wenn die Nachbarschaft überall so gut klappen würde und die Menschen aufeinander achten und sich gegenseitig helfen würden.

    Liebe Abendgrüße
    Angelika

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  4. Liebe Grete,
    diese Meldung kam heute den ganzen Tag im Radio. Es ist schrecklich. Aber der alte Herr war auch schon 88 Jahre. Ein Alter, wo man wirklich darüber nachdenken muss, ob man noch fahrtauglich ist.
    Ganz toll, wie die Nachbarschaft reagiert hat. Wenn das nur überall so wäre. Meist lebt man nebeneinander her und keiner kümmert sich um den anderen. Bei uns lag wieder eine alte Dame 10 Tage tot in ihrer Wohnung, bevor der Briefträger Alarm schlug. Das ist die andere Seite der Medaille.
    Alle Achtung, Grete.
    Einen schönen Abend wünscht Dir
    Irmi

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  5. Hallo Grete,
    schön erzählt. Gemeinsame Kommunikation bringt einiges. Schön, wenn die Nachbarschaft funktioniert, Das ist in der heutigen Zeit nicht unbedingt so, wenn sich mancherorts Nachbarn wegen jedem Scheißdreck vor Gericht wiedersehen. Mein Vater, der 81 Jahre alt ist, wäre übrigens auch in diese Kategorie einzuordnen, ob er evtl. seinen Führerschein abgeben sollte.

    Gruß Dieter

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Da freut sich die Grete aber, dass du was zu sagen hast ...